Zweites Kapitel: Sorgfaltspflichten der Versicherungsunternehmen

2. Abschnitt: Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person

Art. 9

Kriterien



1

Das Versicherungsunternehmen muss von der Vertragspartei eine schriftliche Erklärung darüber einholen, welche natürliche Person die wirtschaftlich berechtigte Person ist, wenn die Vertragspartei nicht wirtschaftlich berechtigt ist oder daran Zweifel bestehen, insbesondere wenn:

  1. die Vertragspartei sich durch einen bevollmächtigten Dritten vertreten lässt;
  2. die Vertragspartei eine Sitzgesellschaft ist;
  3. zwischen den einzugehenden Verpflichtungen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Vertragspartei ein krasses Missverhältnis besteht;
  4. die Geschäftsbeziehung mit einer natürlichen Person ohne persönlichen Kontakt im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b aufgenommen wird;
  5. die Vertragspartei eine operativ tätige juristische Person oder Personengesellschaft ist (Feststellung der Kontrollinhaber).

2

Auf die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person kann analog der Anwendungsfälle nach Art. 7 Abs. 1 verzichtet werden. Das Versicherungsunternehmen hält den Grund für den Verzicht aktenkundig fest.

3

Weitere seitens FINMA zugelassene Verfahren (z.B. mittels neuer Technologien) stellen ebenfalls eine gültige Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person dar.



Vorbemerkungen


Art. 9 R SRO-SVV präzisiert, soweit erforderlich, Art. 4 GwG. Dessen Absatz 1 lautet in der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Fassung wie folgt:
«Der Finanzintermediär muss mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die wirtschaftlich berechtigte Person feststellen und deren Identität überprüfen, um sich zu vergewissern, wer die wirtschaftlich berechtigte Person ist.»
Damit wird bezweckt, die hinter einem Strohmann versteckte, tatsächlich wirtschaftlich berechtigte Person festzustellen. Die Identität der Vertragspartei ist von sekundärer Bedeutung, wenn die Vertragspartei an den Vermögenswerten, die Gegenstand der Finanztransaktion sind, wirtschaftlich gar nicht berechtigt ist. In diesem Fall muss das Augenmerk der wirtschaftlich berechtigten Person gelten (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 4 E-GwG).


Der Begriff der wirtschaftlich berechtigten Person kann, muss aber nicht mit den zivilrechtlichen Begriffen wie Eigentümer, Besitzer, Gläubiger, Gesellschafter, Erbe, Miteigentümer, etc. übereinstimmen. Wirtschaftlich berechtigte Person ist bei Versicherungsverträgen (z.B. fondsgebundene Lebensversicherung) der für die Prämien bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aufkommende Geldgeber, bei der Vermittlung von Fondsanteilen die den Kauf finanzierende Person oder bei Hypotheken, die Person, welche für Zinsen oder Amortisationsleistungen aufkommt.


Im Sinne eines risikobasierten Ansatzes muss die wirtschaftlich berechtigte Person mit nach den Umständen gebotener Sorgfalt festgestellt und ihre Identität geprüft werden. Die nach den Umständen gebotene Sorgfalt im Sinne eines risikobasierten Ansatzes gilt dabei sowohl für die Feststellung als auch für die Überprüfung der Identität der wirtschaftlich berechtigten Person (vgl. Botschaft GwG BBl 2019 5451, 5507). Das Versicherungsunternehmen kann risikobasiert definieren, in welchen Fällen es von der Vermutung ausgeht, dass der Vertragspartner auch die wirtschaftlich berechtigte Person ist. Ist dies unklar oder bestehen Zweifel, kann die Vermutung nicht mehr aufrechterhalten werden und die wirtschaftlich berechtigte Person ist mittels einer schriftlichen Erklärung festzustellen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein in Art. 9 R SRO-SVV geregeltes Kriterium erfüllt ist. Die wirtschaftliche Berechtigung muss zudem immer mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt überprüft werden (vgl. Kommentar zu Art. 9 R SRO-SVV, Rz. 8)


Das R SRO-SVV nennt drei Fälle mit natürlichen Personen als Vertragspartei, in welchen weitere Massnahmen zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person getroffen werden müssen (Art. 9 Abs. 1 lit. a, c und d R SRO-SVV). Hier besteht immer eine Pflicht zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person mittels schriftlicher Erklärung. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Die für die Identifizierung festgelegten betraglichen Limiten gelten in diesem Falle nicht. Zudem muss die wirtschaftlich berechtigte Person immer mittels schriftlicher Erklärung geklärt werden, wenn es sich bei der Vertragspartei um eine Sitzgesellschaft oder um eine operativ tätige Gesellschaft handelt (Feststellung der Kontrollinhaber).


Die Pflicht zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person ist von der Identifizierungspflicht der Vertragspartei zu unterscheiden. Zwar ist die Identität der wirtschaftlich berechtigten Person festzustellen, sie ist jedoch nicht zwingend nach den Regeln der Art. 4 ff. R SRO-SVV formell zu identifizieren.


Eine Mustervorlage oder ein Musterformular für die schriftliche Erklärung zur wirtschaftlich berechtigten Person bzw. zur Feststellung des Kontrollinhabers besteht im Versicherungsbereich im Gegensatz zum Bankbereich nicht. Hintergrund dafür ist der Umstand, dass die Prozessabläufe und technischen Verfahren bei den einzelnen Versicherungsgesellschaften sehr unterschiedlich sein können. Zudem sind die Erklärungen oftmals Teil der Antragsformulare oder von anderen Formularen, welche weitere, unternehmens- oder versicherungsspezifische Aspekte abdecken. Die Formulare/Erklärungen des Vertragspartners zu den Kontrollinhabern haben aber immer mindestens folgende Elemente zu umfassen:

  1. Angaben zur Vertragspartei (oder der im Todesfall begünstigten Person), welche die Erklärung zum Kontrollinhaber abgeben.
  2. Erklärung zu den Kontrollinhabern (vgl. möglicher Text im Kommentar zu Art. 9 R SRO-SVV, Rz. 12).
  3. Pflicht der Vertragspartei, Änderungen von sich aus mitzuteilen (falls diese Verpflichtung nicht in den Allgemeinen Vertragsbedingungen geregelt ist).
  4. Datum und Unterschriftenzeile

Die Erklärung zur wirtschaftlich berechtigten Person bzw. zum Kontrollinhaber kann schriftlich oder in einem von der FINMA zugelassenen Verfahren erfolgen (Art. 9 Abs. 1 und 3 R SRO-SVV). Wird die Schriftform gewählt, so hat dies durch ein handschriftlich unterzeichnetes oder mit qualifizierter elektronischer Signatur versehenes Dokument zu erfolgen. Das Schriftformerfordernis ist dabei erfüllt, wenn eine entsprechend unterzeichnete Erklärung über die wirtschaftliche Berechtigung bzw. den Kontrollinhaber mit den notwendigen Angaben vorliegt oder wenn die in der Erklärung fehlenden Elemente (z.B. Wohnsitzland oder Nationalität) aus weiteren Dokumenten oder Erklärungen des Vertragspartners (z.B. Ausweiskopie, Handelsregisterauszug, andere eingeholte Unterlagen) hervorgeht. Leistet der Vertragspartner die Unterschrift eigenhändig direkt auf einem elektronischen Gerät, so kann unter folgenden Voraussetzungen von einem handschriftlich unterzeichneten Dokument gemäss den SRO-SVV-Vorgaben ausgegangen werden:

  • Der Kunde leistet seine Unterschrift im elektronischen Formular unter Anwesenheit eines Mitarbeiters im Sinne von Art. 2 lit. e R SRO-SVV oder eines Vermittlers mit einem Delegationsvertrag.
  • Die Unterschrift kann nicht ohne Nachverfolgbarkeit im elektronischen Dokument verändert oder herausgelöst werden.

Das Versicherungsunternehmen kann die Erklärung jedoch auch in den von der FINMA zugelassenen Verfahren einholen (vgl. Kommentar zu Art. 9 R SRO-SVV, Rz. 14).


Art. 4 GwG verlangt, dass das Versicherungsunternehmen die Identität der wirtschaftlich berechtigten Person mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt überprüft und sich dabei vergewissert, wer die wirtschaftlich berechtigte Person ist. Diese Überprüfung der Identität der wirtschaftlich berechtigten Person beinhaltet das Hinterfragen der Erklärung der Kundin oder des Kunden zur wirtschaftlichen Berechtigung (vgl. Botschaft GwG BBl 2019 5451, 5508). Das Versicherungsunternehmen hat die Identität der wirtschaftlich berechtigten Person kritisch zu überprüfen und mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt Massnahmen zu ergreifen, um sich über deren Plausibilität zu vergewissern. Dabei ist ein risikobasierter Ansatz zu verfolgen. Das Versicherungsunternehmen kann sich auf unterschiedliche Quellen wie die eigenen Kenntnisse bezüglich des Kundenprofils, öffentliche Informationen sowie nötigenfalls und wo möglich Informationen einer externen Stelle stützen. Die Feststellungspflicht bedingt somit eine materielle Überprüfung, was sich auch aus der Rechtsprechung ergibt (vgl. BGE 125 IV 139, Erwägung 4). Festzustellen ist demnach die effektiv zutreffende wirtschaftliche Berechtigung einer Person an den massgeblichen Vermögenswerten.


Formvorgaben für die Dokumentation der Plausibilität bestehen nicht. Denkbare Möglichkeiten sind Bestätigungen des Kundenberaters oder prüfender Stellen auf den Antragsunterlagen, Systemvermerke (z.B. als Teil von Prüfungschecklisten) oder auch technikbasierte Prozesse, bei welchen Anträge für eine weitere Prüfung ausgeschieden werden, wenn eine Abweichung zu den definierten Plausibilitätskriterien vorliegt. Im Sinne des risikobasierten Ansatzes hat die Plausibilitätsprüfung je nach Risikosituation unterschiedlich tief zu erfolgen. Kriterien können dabei u.a. die Risikoklasse des Kunden, das Auseinanderfallen zwischen wirtschaftlich berechtigter Person und Kunde sowie das Näheverhältnis zwischen wirtschaftlich berechtigter Person und Kunde sein. Bestehen nach dieser Prüfung ernsthafte Zweifel über die wirtschaftliche Berechtigung und können diese auch durch zusätzliche Abklärungen nicht ausgeräumt werden, ist das Geschäft abzulehnen.


zu lit. b:


Zum Begriff der Sitzgesellschaft: siehe Art. 2 lit. g. R SRO-SVV


Ungeachtet der Rechtsform kann eine Sitzgesellschaft selbst nicht wirtschaftlich Berechtigte sein.


zu lit. c:


Voraussetzung ist, dass das Versicherungsunternehmen die (prekären oder bescheidenen) Verhältnisse der Vertragspartei kennt oder bei gehöriger Sorgfalt kennen müsste.


zu lit. e:


Der Begriff des Kontrollinhabers ist in Art. 2 lit. d R SRO-SVV definiert (vgl. Kommentar zu Art. 2 lit. d R SRO-SVV). Dieser muss in folgenden Situationen festgestellt werden:

  1. im Antragsprozess, falls die Vertragspartei eine operativ tätige nicht börsenkotierte juristische Person oder Personengesellschaft ist (Art. 9 lit. e R SRO-SVV); die Kontrollinhaber der Vertragspartei müssen immer festgestellt werden, auch wenn sie nicht wirklich wirtschaftlich Berechtigte sind.
  2. bei der Zahlung von Prämien oder Zinsen/Amortisationen durch eine operativ tätige nicht börsenkotierte juristische Person oder Personengesellschaft (Art. 10 lit. c R SRO-SVV); die juristische Person selber muss nicht dokumentiert werden. Dies erfolgt analog zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person bei Sitzgesellschaften: Massgebend ist diejenige natürliche Person, welche die Vermögenswerte eingebracht hat resp. darüber verfügen kann (unabhängig davon, ob das Einbringen über mehrere juristische Personen erfolgt ist). Wichtig ist dabei, dass die wirtschaftliche Berechtigung der angegebenen natürlichen Person plausibel ist. Die Abklärungen/Begründungen sind im Dossier festzuhalten. Zudem müssen die Formulare so aufgebaut sein, dass der Vertragspartner erkennen kann, welche Informationen benötigt werden.
  3. bei Auszahlung von Versicherungsleistungen an eine juristische Person als Begünstigte, falls zusätzlich ein erhöhtes GwG-Risiko vorliegt (Art. 11 Ziff. 3 R SRO-SVV).
  4. bei Zweifel im Sinne von Art. 12 lit. b R SRO-SVV (Zweifel an der Identität der Vertragspartei oder an der wirtschaftlichen Berechtigung).
  5. bei der Durchführung von besonderen Abklärungen bei erhöhten Risiken (Art. 14 Abs. 1 lit. a R SRO-SVV).

Die Erklärung des Vertragspartners zu den Kontrollinhabern hat die in Art. 2 lit. d R SRO-SVV umschriebenen Definitionskriterien abzudecken. Ein möglicher Wortlaut ist wie folgt:


«Der Vertragspartner/Begünstigte erklärt hiermit, (das Zutreffende ankreuzen; mehrfaches Ankreuzen ist unzulässig):

  • dass die nachstehend aufgeführte/n Person/en an der juristischen Person/Personengesellschaft Anteile (Kapitals- oder Stimmrechtsanteile) von 25 Prozent oder mehr halten; oder
  • falls die Kapitals- oder Stimmrechtsanteile nicht festgestellt werden können oder falls keine Kapitals- oder Stimmrechtsanteile von 25% oder mehr bestehen, dass die nachstehend aufgeführte/n Person/en auf andere Weise die Kontrolle über die juristische Person/Personengesellschaft ausübt/ausüben; oder
  • falls auch diese Person/en nicht festgestellt werden kann/können, oder diese Person/en nicht besteht/bestehen, dass die nachstehend aufgeführte/n Person/en die Geschäftsführung ausübt/ausüben:

Name, Vorname:

____________________________

Geburtsdatum:

____________________________

Nationalität:

____________________________

Wohnsitzadresse:

____________________________

Wohnsitzland:

____________________________»

zu Abs. 2


In den gleichen Anwendungsfällen wie bei der Identifizierung kann das Versicherungsunternehmen auf die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person verzichten. Die Gründe für den Verzicht sind auch hier zu dokumentieren, wobei keine formellen Vorgaben bestehen. Eine solche Dokumentation kann somit z.B. durch einen Systemvermerk oder Notiz im Kundendossier erfolgen. Diese Ausnahmeregelung ist von einer allfälligen risikobasierten Vermutung gem. Kommentar zu Art. 9 R SRO-SVV, Rz. 3 streng zu unterscheiden.

zu Abs. 3


Art. 9 Abs. 3 R SRO-SVV verfolgt die Zielsetzung, dass Versicherungsunternehmen neue Verfahren zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person zeitgleich mit der FINMA-Zulassung anwenden können. Mit dieser expliziten Regelung im Reglement ist klargestellt, dass zur Anwendung von neuen Verfahren nicht vorgängig eine Reglementanpassung erfolgen muss. Diese Rechtssicherheit ist zur Förderung der digitalen Abläufe wichtig. Seitens FINMA zugelassene Verfahren sind im FINMA-Rundschreiben 2016/7 Video- und Online-Identifizierung geregelt. So kann das Versicherungsunternehmen gemäss Rz. 47 f. des FINMA-Rundschreibens 2016/7 die Erklärung der Vertragspartei auch mittels einem mit qualifizierter elektronischer Signatur signierten elektronischen Formular einholen. Anstelle der qualifizierten elektronischen Signatur kann die Bestätigung der Vertragspartei sodann auch mittels TAN oder einer ähnlichen Methode erfolgen, sofern sie eine verlässliche Zuordnung zur Vertragspartei ermöglicht.